Mein Vater Hans Jørgensen Wegner wurde 1914 in Tønder geboren (damals hatte Tønder etwa 5000 Einwohner) und verbrachte hier auch die ersten 21 Jahre seines Lebens. Die Familie Wegner wohnte direkt gegenüber dem Haupteingang der Christuskirche in der Smedegade 12, wo auch Vater Peter seine Schuhmacherwerkstatt hatte. Mit anderen Worten: Mein Vater wuchs mit einer Leidenschaft für das Handwerk auf. Natürlich konnte er sich Werkzeuge von seinem Vater ausleihen, aber es waren eher die Tischlerwerkstatt und die drei Häuser weiter die Straße hinunter, die seine Aufmerksamkeit erregten. Denn hier konnte er schon von klein auf die Stöcke und Holzstücke bekommen, die er für die Verwirklichung seiner Projekte brauchte.
Schularbeiten interessierten ihn nicht besonders. Andererseits hatte er schon immer eine Vorliebe für das Zeichnen und Malen und fand in der Umgebung der Stadt Motive für seine Aquarelle. Darüber hinaus war es das offene Land außerhalb der Stadt, insbesondere die Gegend um Vidåen, die ihn anzog. Hier bot ihm die Natur die Möglichkeit, Schmetterlinge und Insekten zu fangen sowie Pflanzen, Tiere und Vögel zu studieren. Und wenn ein junger Zaunking das Nest in einem der hohen Stadtbäume früh verlassen hatte, war es nicht ungewöhnlich, dass er sich darum kümmerte.
Auch das Wasser in Vidåen spielte eine wichtige Rolle und bot Möglichkeiten zum Segeln, Schwimmen und Tauchen. Mein Vater erzählte, wie er und sein älterer Bruder Heini im November einmal darin gebadet hätten. Sie hatten gehofft, dass ihre Mutter Nicoline es nicht entdecken würde, aber mein Vater – der damals noch nicht sehr alt war – war gekommen, um die Bluse bleiben zu lassen. Es juckte in diesem Zusammenhang, es war also schon fast vorherbestimmt. Doch viele Jahre später waren es die Fische, Kleintiere und Pflanzen aus dem Bach und den städtischen Anlagen, an die er sich erinnerte und die er mit fein geschnitzten Intarsienmotiven auf den Tür- und Schubladenfronten seines sogenannten Fischschranks nachbildete. Für mich ist dieser Schrank das Möbelstück, das mich durch seine besondere Motivauswahl am deutlichsten an meine Kindheit in Tønder erinnert.
Mit 14 Jahren nimmt er an einem Tischlerkurs teil und lernt in den folgenden vier Jahren, Möbel und andere Dinge anzufertigen, die Kunden bei seinem Meister Stahlberg bestellen. Er liebt die Arbeit mit Holz und bekommt deshalb im Keller unter der Werkstatt seines Vaters eine eigene Hobelbank. Hier beginnt er, Menschen- und Vogelfiguren mit einem Hohleisen zu schnitzen. Das Holz dafür sind große Eichenstämme, die er bei der Sanierung der Altstadthäuser an der Straße findet. Träumte er damals davon, Bildhauer zu werden? Sein Interesse für den Beruf muss in der Stadt geweckt worden sein, denn der Holzschnitzer Michael Laursen aus Aarhus besuchte auf Wunsch von Familienmitgliedern die Familie Wegner in Tønder, um zu sehen, was der Sohn des Schuhmachers konnte. Ein paar Jahre später treffen sie sich wieder, aber jetzt in Aarhus. Inzwischen hat mein Vater in Kopenhagen Möbeldesign studiert und mir beim Entwurf der Möbel für das neue Rathaus in Aarhus geholfen. Laursen wollte einen von meinem Vater entworfenen Stuhl produzieren und war der erste, der einen solchen Stuhl in Serie produzierte – nämlich den Schaukelstuhl ML-33. Und ja, der Rahmen ist tatsächlich mit geschnitzten Blattranken verziert.
Übrigens: Als Peter (Mathiesen) Wegner eine Ausbildung zum Schuhmacher machte, war einer der Kunden, für die die Schuhe genäht wurden, Graf Schack.
Schloss Schackenborg. Mai 2021, Marianne Wegner